Keep Hauling – Dezember 2018
Fast drei Jahre ist es her, dass zuletzt an MARABU gearbeitet wurde, die zwei letzten Jahre davon befindet sich die Welt im pandemischen Ausnahmezustand, zum Fotografieren aus Stein am Rhein/Schweiz nach Radolfzell/Deutschland zu fahren – monatelang unmöglich. Und in dieser Zeit, in der gefühlt ganze Gesellschaften «zusammen in einem Boot sitzen» scheint die Seefahrerromantik wieder hoch im Kurs zu stehen: «Wellerman» läuft im Radio hoch und runter, die Häfen an Nord- und Ostsee platzen nach langen Jahren der Durststrecke aus allen Nähten und selbst im Schweizer Fernsehen flimmern, hollywoodreif inszeniert, singende Fischer aus Cornwall über die Mattscheibe um inbrünstig ihren Hit «Keep Hauling» zu schmettern *.
Ist es Zufall, dass sich genau in dieser besonderen Situation – 12 Jahre nach der Überführung von England an den Bodensee – ein Käufer für MARABU gefunden hat? Anfang November 2021 ploppt aus heiterem Himmel eine Nachricht von Bootsbauer Axel auf meinem Mobiltelefon auf: «Remember? Grüsse…und schönes W.E.» und dazu ein Foto. MARABU steht in der Halle. Das Unterwasserschiff ist zu ¾ mit neuen Planken versehen.
Vier Tage später öffne ich die Tür zur Werft und trauen meinen Augen nicht. «Alle AN einem Boot» scheint hier das neue Motto zu sein. Fast wie vor 100 Jahren sind 5 Bootsbauer gleichzeitig mit den Arbeiten am Rumpf beschäftigt. Kurzfristig verliere ich den Überblick und muss mich erstmal sortieren. Im oberen Rumpfbereich fertigt Frank die Schablonen für die Püttingeisen an, Axel ist damit beschäftigt neue Planken für den schnell wachsenden Rumpfaufbau zu liefern, während sich drei seiner Kollegen mit Hobeln, Straklatte, Schleifmaschine und Grundierung über das frische Holz hermachen.
Doch im Vergleich zu den imposanten Aufbauten wirken die Arbeiter mit ihren Handwerkzeugen fast klein und verloren. Die zu bearbeitende Fläche scheint riesig und immer wieder folgt nach wenigen Hobelschlägen, die häufig kräftezehrend über Kopf ausgeführt werden müssen, ein konzentriertes, vorsichtiges Ertasten der Holzstruktur. Keine Delle, keine Beule soll die Fahrt durch das Wasser stören, wenn MARABU im August 2023 wieder ihrem Element übergeben wird.
Jeder der Bootsbauer weiss, was er zu tun hat, übernimmt seinen Teil der Arbeit, der Verantwortung, jeden Tag auf’s neue Stück für Stück, Planke für Planke und zusammen für das grosse Ganze… «keep hauling» **.
Vor einigen Tagen erhielt ich eine Email von Tom aus England, der sich an ganz besondere Stunden als Jugendlicher an Bord der MARABU erinnert – in der Biscaya auf dem Weg von La Rochelle nach Santander:
«Während ich in der Nacht auf Wache war, gerieten wir in einen Gewittersturm mit Windstärke 10. Es war eine extrem beängstigende Erfahrung, aber sie hat mich so viel gelehrt. Segeln durch 30 Meter rollende Wellen, Blitz, Donner und die unglaubliche rohe Gewalt der Natur. Zu sehen, wie jeder an Bord alles in seiner Macht Stehende tut, um die Yacht ohne Zwischenfall oder Unfall am Segeln zu halten, wirklich unglaublich.»
* Fisherman’s Friends, 2019
** „keep hauling“ – wörtlich: „zieh weiter (am Reep)“ – übertragen: „halt durch“, „mach weiter“