Heute, damals und dazwischen – Januar 2018
Einige Generationen von Bootsbauern hat MARABU kommen und
gehen sehen. Beim Ausbau von Steven und Vorsteven werden die vielen Lackschichten sichtbar, die sich wie Jahresringe eines Baumes im vorderen Bereich der Bilge übereinander gelegt haben.
X10 war 1936 wie die meisten GFK-Segelyachten heute ein
Serienbau „von der Stange“. Trotz – nach unseren Vorstellungen – einfacher
Werkzeuge vergingen nur wenige Monate von Kiellegung bis Stapellauf. Die
Arbeitsweisen der für damalige Verhältnisse sehr modernen A&R-Werft machten
eine hohe Produktivität möglich: eine grosse Konstruktionsabteilung durch die
alle Arbeitsschritte bereits vor Baubeginn auf dem Reissbrett genau geplant
waren, ein hervorragendes Holzlager in dem die Handwerker aus dem Vollen
schöpfen konnten sowie viele spezialisierte, erfahrene und geschickte
Bootsbauer mit ihren Hilfsarbeitern die für eine rationelle Fertigung sorgten.
Im Gegensatz dazu ist heute mit wenigen Clicks im
CAD-Programm eine Änderung der Konstruktion vorgenommen, das Material wird
nicht gelagert sondern meist „on time“ zur Verarbeitung geordert und Maschinen
oder Roboter reduzieren den Personaleinsatz.
In Radolfzell wirken Axel und MARABU ein wenig wie aus der
Zeit gefallen. Aus dem Serienprodukt ist ein Unikat geworden um dessen
fachgerechte Restaurierung sich der Bootsbauer weitestgehend alleine bemüht.
So zeigt er mir eine unscheinbare Stelle am ausgebauten
Steven. Zwei Holzteile mit möglichst passendem, bogenförmigen
Faserverlauf, Handsäge, Stechbeitel und Hammer – mehr brauchten seine Kollegen
vor fast 100 Jahren nicht um in kurzer Zeit eine Hakenlasche herzustellen. Bei
dieser auch gegen Verwindungen und Scherkräfte ausgesprochen robusten
Verbindung, werden durch das Quellverhalten des Holzes nach dem Wasserkontakt
beide Teile mit hohem Druck regelrecht in ihre korrekte Position gequetscht.
Hölzer mit solch „praktischen“ Wuchsfehlern sind
mittlerweile selten geworden. Zudem haben moderne Klebstoffe und
Verbundtechniken wie das Formverleimen diese alte Handwerkstechnik abgelöst.
Auch Axel hat den neuen Steven aus einzelnen
Mahagonischichten mit Epoxidharz anhand der Originale in die erste grobe Form
gebracht. Nun soll dieser – anders als bei einem Neubau (bei dem der Rumpf über
dem Kielbereich errichtet wird) – an den noch vorhandenen Rumpf angepasst
werden. Mit über 100kg und mehr als 6 Metern Länge benötigt er für das
Positionieren des unhandlichen Stücks jedoch weder eine Vielzahl von Kollegen
noch Kran oder Gabelstapler. Über an den alten Decksbalken befestigte Flaschenzüge
kann er sein Werkstück immer wieder zum Abgleich an den Rumpf heben oder zur
Korrektur herablassen.
Natürlich erleichtert er sich die kräftezehrende und
langwierige Holzbearbeitung mit Elektrohobel und Handkreissäge. Für die Sponung
– die Nut in der Planken und Steven passgenau ineinander übergehen sollen,
greift er jedoch in seine eigene Werkzeugkiste. Nirgendwo zu kaufen und schon
vor Jahren von ihm aus einem gerundeten Schiffshobel selbst gefertigt kommt der
Sponungshobel dort zum Einsatz, wo es keine geraden Flächen oder rechten Winkel
mehr gibt.
Seit kurzem hält die moderne Technik im Bereich der
Restaurierung altehrwürdiger Yachten unaufhaltbar Einzug: Plan- und
hoffnungslose Rümpfe werden mit Lasertechnik 3D vermessen und können so
rekonstruiert, individuelle Beschläge in näherer Zukunft auch für kleinere
Geldbeutel gescannt und „gedruckt“ werden.
Im Fall von X10 MARABU sind Spantenriss und Baubesteck noch
vorhanden, das Vorgehen für Josef Martin war damit klar: Der Weg zum schönen
Schiff führt durch einen grossen Haufen Schutt und Staub.