Balance – Mai 2022
Der Rumpf vollständig beplankt, das zukünftige Unterwasserschiff leuchtend weiss gespachtelt, so scheint die MARABU auf ihrem alten, restaurierten Kiel aus 8 Tonnen gegossenem Blei zu thronen.
Um bei ihren Arbeiten die Ausrichtung des Rumpfform kontrollieren zu können, haben die Bootsbauer mittig an Bug und Heck ein Lot angebracht. Immer wieder stellen Axel und seine Kollegen dabei erstaunt fest, wie präzise das über 17 Meter lange Schiff vor fast 100 Jahren bei Abeking & Rasmussen (A & R) gefertigt wurde. Nur um wenige Millimeter unterscheiden sich Backbord- und Steuerbordseite voneinander. Alles ist beinahe perfekt ausbalanciert.
Wie war es möglich ohne die heutigen Präzisionswerkzeuge und Maschinen, als noch gedämpft wurde anstatt mit Schablonen formverleimt, dass in wenigen Wochen ein Schiff vom Stapel lief, das heute durch eine Hand voll Bootsbauer in jahrelanger Arbeit restauriert wird?
Viel Wissen sei verloren gegangen, meint Axel bedauernd. Er schaue sich gerne alte Bilder aus dieser Zeit an. Die Anordnung der Maschinen und Werkstücke, wie viel Arbeiter auf welche Weise in den Fertigungshallen verteilt seien, all dies könne viel über die effizienten Arbeitstechniken von damals verraten.
Eine renommierte Werft wie A & R verfügte sicher über ausreichend Personal, dass in hochspezialisierten Gruppen jeweils einen Arbeitsschritt bei mehreren Schiffen parallel durchführte. Sägen, Hobeln, Planken, Nieten – alles passierte zudem zeitgleich an einem Rumpf. Dies ähnelte bereits dem industriellen Serienbau inklusive Fliessbandarbeit.
Beim Rückbau seiner Restaurierungsobjekte denkt Axel viel nach. Viele früher verwendete Konstruktionen und Verfahren ergäben erst auf den zweiten Blick einen Sinn. Manchmal käme ihm die Erkenntnis zum «Wie» und «Warum» auch erst weit nach Feierabend.
Über die Jahre ist ein enormes Wissen im Kopf des erfahrenen Bootsbaumeisters herangewachsen. Viele angehende und junge Bootsbauer hat er während seiner Karriere begleitet und hofft, dass der ein oder andere Samen bei einem neugierigen, motivierten Kollegen auf fruchtbaren Boden gefallen ist.