Abriss – August 2017

Weiches Licht fällt an diesem Sommermorgen durch die staubigen Fenster und das offene Tor in die Werfthalle. In einer beinahe andächtigen Atmosphäre ragt der Rumpf der Marabu Richtung Hallendecke. Doch das Auge des Betrachters fällt unweigerlich auf den grossen Berg aus Holzresten, Kabelgewirr und anderen Einrichtungsgenständen, die sich unter dem Heck der MARABU auftürmen.

Als Unbeteiligter überhört man bei diesem Anblick fast das laute Krachen, das in unregelmässigen Abständen vom Hof herein schallt – laute Geräusche sind ja auf einer Wert nicht ungewöhnlich. Erst Silke Martin liefert für diesen Lärm die ausgesprochen bodenständige Erklärung: „Ich habe die grosse Mulde extra nochmal leeren lassen, damit Platz ist für den ganzen Müll aus der MARABU.“

Alleine fehlt mir noch der Mut zusammen mit meiner Kameraausrüstung die hohe Leiter zum Deck des Seefahrtkreuzers zu erklimmen. Also warte ich einen Moment, bis Bootsbauer Axel mit der Schubkarre in den Händen von seiner Mulden-Runde zurück ist. Er weiss noch nicht, dass ich mal wieder für ein Bootsbauprojekt bei Martin-Yachten unterwegs bin und dieses Mal an seinen Fersen kleben werde. Er sei da nicht so kompliziert und seine Miene verrät mir sein Einverständnis zu der „Sache“.

Es geht also erst hoch und dann wieder runter in den Bauch der MARABU. Schon beim letzten Mal hat mir der Anblick zugesetzt, aber was mir jetzt entgegenschlägt treibt mir für einen kurzen Moment fast die Tränen in die Augen. „Ausgeschlachtet“ nennt man das wohl und dazu ein Geruch, den ich – obwohl mit alten Booten durchaus vertraut – so intensiv noch nie wahrgenommen habe. „Das ist der Rost“ erklärt Axel. Und dann käme da noch die Feuchtigkeit, das vermodernde Holz mit dem ganzen Staub dazu. „Wenn du auf ein Schiff kommst und es so riecht, weisst Du Bescheid“. Ich nicke. Er greift zum Brecheisen.

MARABU ächzt und stöhnt wie in schwerstem Seegang, Schrauben reissen aus ihren Verankerungen, Holz zerberstet. Vom Deck rieseln Späne und Staub, Rost platzt in Brocken von den Eisenbeschlägen. Ab und zu wird das Werkzeug gewechselt. Dann kommen Vorschlaghammer oder Bolzenschneider zum Einsatz. „Ist so eine Arbeit schlimm für Dich?“ frage ich vorsichtig nach. „Nein, eher spannend. Man lernt bei sowas immer wieder etwas Neues“. – oder ist es vielleicht das Bild vor seinem inneren Auge, auf dem die MARABU nach Jahren des Verfalls wieder stolz unter vollen Segeln mit ihrem Rumpf die Weltmeere durchpflügt?

Nachdem Axel den Rahmen einer Hundekoje auseinandergebrochen hat, hält er kurz inne, zeigt auf die handgefertigte Verbindung der beiden Holzteile aus Schlitz und Zapfen. „Das ist alt“ sagt er. „So viel Arbeit hat sich später keiner mehr gemacht.“ In hohem Bogen fliegen die beiden Stücke über das Süllbord und landen krachend auf dem Müllhaufen unter dem Heck der MARABU.