3700° – Dezember 2018

Mit etwas mulmigem Gefühl öffne ich an diesem Donnerstag kurz vor Weihnachten die Tür zum Stahl- und Metallbaubetrieb von Edgar Baur in Radolfzell. Das Umfeld, die Werkzeuge, das Material, die Menschen …alles wird hier anders sein als in der Martin-Werft.

Auch bei den Handwerkern ist eine leichte Nervosität spürbar. Sie haben schon alles vorbereitet, damit ich an nur einem Nachmittag die einzelnen Schritte dokumentieren kann, die zur Herstellung einer Metallwrange von MARABU notwendig sind.

Oft kommt es wohl nicht vor, dass eine Fotografin sie bei der Arbeit begleitet und so ist das „Los“ auf Arthur gefallen. Er sei am „fotogensten“ wird mir versichert.

Bearbeitet werden pro Wrange drei industriell gewalzte Rohlinge aus seewasserbeständigem V4A-Stahl. Eine grobe Form ist bereits erkennbar: die Kanten sind abgerundet und die beiden Stücke, die auf den vertikal verlaufendem Teil der entsprechenden Holzspante montiert werden, konisch geformt. Auch die Bohrungen für die Schrauben wurden schon vorbereitet und die Oberfläche grob geschliffen.

Mittels einer von Bootsbauer Axel angefertigten Schablone soll nun zunächst die Biegung der Rohlinge in die Spantenform erfolgen. Dazu wird das Werkstück in einen speziellen Schraubstock mit gegeneinander verstellbaren Backen eingespannt. Ich fühle mich an einen Spruch erinnert, der Archimedes zugeschrieben wird: „Gebt mir einen Hebel der lang genug ist…und ich bewege die Welt.“

Arthur greift einen an der Biegevorrichtung montierten Hebel und nutzt sein Körpergewicht geschickt, um den Stahl Millimeter für Millimeter in die exakte Rundung zu biegen. Immer vergleicht er Schablone und Produkt miteinander, stellt das Werkzeug neu ein, korrigiert nochmals und spannt es dann ein kleines Stück weiter erneut ein.

In erstaunlich kurzer Zeit folgt das ca. 80cm lange Eisen exakt der auf dem Karton aufgezeichneten Kurve.

Da MARABU auf Backbord- und Steuerbordseite nicht ganz symmetrisch ist, werden beide Seiten unabhängig voneinander auf die Schablone übertragen. Auch der Winkel der durch Steigung und Gefälle des Kielschweins zwischen der geraden Bodenplatte und den beiden gebogenen Schenkeln entsteht, ist nicht einfach zu bestimmen. Meist werden die drei Teile zunächst mit einer kleinen provisorischen Schweissnaht „geheftet“. Metallbaumeister Günter – selber ein erfahrener Segler (45qm Nat. Kreuzer) – und Axel überprüfen dann nochmals direkt vor Ort am Schiff alle Winkel und Biegungen, um noch kleinere Korrekturen vornehmen zu können bevor alles fest und stabil durch eine WIG-Schweissung verbunden wird.

Auch das darf ich mir heute genauer ansehen und bin einigemassen erstaunt, als Arthur geschützt durch abdunkelnden Sichtschutz und riesige Handschuhe vornübergebeugt an einem speziellen Schweisstisch Platz nimmt. Schweissen hatte ich mir irgendwie „grobmotorischer“ vorgestellt.

Gewarnt vor dem sehr hellen Licht halte ich mit meiner Kamera erstmal Abstand. Keiner von uns weiss in diesem Moment, ob und wie ich diesen Vorgang genau abbilden kann. Neugierig geworden, lasse ich mich ebenfalls mit einer Schutzhaube ausstatten und ziehe mir meine Handschuhe – zum Glück ist ja Winter – gegen die UV-Strahlung an.

Erstmal möchte ich verstehen, was da mit so viel Fingerspitzengefühl passiert. Eine hoch erhitzbare Wolfram-Elektrode (viele kennen dieses Element noch aus dem Physikunterricht zum Thema „Glühbirne“) bildet über dem Stahl einen Lichtbogen der die V4A-Legierung mit über 3700°C zum Schmelzen bringt. Anders als bei anderen Schmelzschweiss-Verfahren, wird der Zusatzwerkstoff – eine dem Werkstück ähnliche Legierung – in Drahtform zusätzlich zugeführt und in die Naht mit eingeschmolzen. Es entsteht das charakteristische Wellenmuster in der Schweissnaht. Die Wolframelektrode ist so hitzebeständig, dass sie selber nicht abschmilzt.

Um eine Verbrennung des geschmolzenen Stahls mit der Umgebungsluft  zu verhindern, bildet das aus dem Brennerkopf zugeführte Edelgas Argon eine unsichtbare Schutzhülle um den Ort des Geschehens.

Nach einem Objektivwechsel, einigen Einstellungsänderungen und möglichst fixiert in eine gute Position fotografiere ich nun auf Kommando mit geschlossenen Augen. Arthur freut sich, als seine für Aussenstehende sonst unsichtbare Arbeit auf dem Display sichtbar wird.

Als die Aussennähte der Weger mit dem Winkelschleifer bündig geschliffen werden, fliegen nochmal die Funken.

Mit vielen neuen Eindrücken schliesse ich nach einem spannenden Nachmittag die Werkstatttür hinter mir. Es ist später geworden als gedacht und ich freue mich schon, der neuen Einladung des Metallbauers für nächstes Jahr nachzukommen, denn dann sollen die Bolzen für MARABU angefertigt werden.